Hans-Jürgen Kintrup hielt die kompetente Einführung bei der Vernissage am 18. März 2011. Dabei ging er auch auf die technische Seite der Herstellung der Glasobjekte ein. Die Einführung wurde von vielen Besuchern als sehr informativ und hilfreich für das Verständnis bezeichnet.


Sehr geehrte Damen und Herren.
Wenn es Wiedergeburt und Seelenwanderung gibt - keine Angst, ich will das hier und heute nicht diskutieren- wenn es also für uns Menschen frühere Existenzen gegeben haben sollte: mein Freund Wolfgang Mussgnug hätte sicherlich einen bedeutenden Abschnitt seiner früheren Leben im alten Ägypten der Pharaonenzeit verbracht!
Warum sage ich das? Mussgnug ist nicht ein reiner Maler und Bildhauer, er ist vielmehr ein Schreiber! Ein Maler-Schreiber und ein Bildhauer-Schreiber, so wie das die altägyptischen Künstler auch immer waren.
Eine seiner früheren Ausstellungen hieß konsequenterweise auch: „Schriftgemäß“.
Das scheint auf den ersten Blick ein etwas eigenartiger Name für eine Ausstellung von gemalten Bildern, Zeichnungen und Glasobjekten.
Zumal auf wenigen dieser Dinge ein ganzes Wort und selten ein ganzer Satz oder gar ein lesbarer Text zu finden sind.

Wenn man genau hinschaut, findet man allerdings überall „Scribturales“, Schriftähnliches. Gekritzel, zu Zeilen geordnet, diese zu schriftsatzähnlichen Blöcken gefügt.
Einzelne Zeichen, die wie von fern an Alphabete aus fremden, längst vergangenen Kulturen erinnern - und allerdings auch manchmal einen vertrauten lateinischen íuchstaben.
Sie könnten sich fragen ob es sich um rebusartige Bilderrätsel handelt, oder etwa um eine Geheimschrift.
Mit dieser Vermutung lägen Sie nicht ganz richtig, aber auch nicht völlig falsch.
Es wird hier tatsächlich etwas mitgeteilt und in gewissem Sinne erzählt uns Mussgnug sogar Geschichten.
Die Akteure dieser Geschichten sind Farben und Formen, z. T. an Gegenständliches erinnernd, z. T. von informeller Abstraktheit.
Den Farben und Formen passieren auf Mussgnugs Bildern alle möglichen erstaunlichen Sachen:
Wer genau hinsieht und sich auf die Geschichte einlässt, die jedes Bild erzählt, die einzelnen Bestandteile jedes Bildes für sich betrachtet um sie dann doch wieder eine Beziehung zu allen anderen auf der Bildfläche herzustellen, der wird bemerken, dass diese oft zufällig erscheinenden Dinge jeweils für sich mit großer Präzision und innerer Spannung gesetzt sind und dass jeder einzelne Teil der Komposition zu jedem anderen, noch so weit entfernten in einer logischen, notwendigen, wenn auch sprachlich nicht formulierbaren Beziehung steht.
Sie müssen ja nicht so weit gehen wie der alte Goethe, der in seiner Farbenlehre von den Farben als den „Taten und Leiden des Lichtes“ gesprochen hat.
Aber auch in Mussgnugs Bildern geschieht den Farben und Formen etwas.
Sie sind allerdings meist nicht dazu da auf etwas Anderes, außerhalb ihrer selbst zu verweisen, sondern sie stehen fast immer für sich selbst. Rot ist rot und meint Rot und nicht etwa „Sonnenaufgang“:
Farben verdichten sich, werden leuchtend und lösen sich wieder auf. Andere stehen hart begrenzt in klaren Formen gefangen vor wolkigem, bewegtem Grund.
Formen haben Richtungen, schreiten voran oder zielen auf etwas - oder ins Nichts.
Und immer wieder werden diese Formen zu Zeichen, zu Buchstaben eines neuen, nur Mussgnug eigenen Alphabetes.
Mussgnug ist ein Kalligraph. Ein Schönschreiber wie das wörtlich übersetzt heißt.
Wobei ich das griechische „kallos“ im ursprünglichen Wortsinn meine: Kallos hieß bei den alten Griechen nicht nur „schön“, sondern auch „gut“! Beides war für die Griechen nicht zu trennen.
Die Geschichten die Mussgnug erzählt indem er zeichnet und malt, in seinen Glasobjekten auch formt und graviert, sind gute Geschichten. Gut und daher schön geschrieben, oder auch umgekehrt.
Meist in alter, europäischer Tradition von links nach rechts und von oben nach unten lesbar.
Auch wenn ich sie nicht in die Alltagssprache übersetzen könnte, sind sie trotzdem verständlich - wenn man sich ein wenig Mühe gibt.

Das bisher Gesagte trifft, so glaube ich, sowohl auf die hier gezeigten Zeichnungen und Malereien, wie auf die Glasobjekte zu.

Für die Glasobjekte möchte ich allerdings meinen bisher mehr ästhetischen Diskurs erweitern und auch auf die technische Seite der Kunst eingehen.
Was hier optisch so leicht, durchsichtig und geradezu schwebend erscheint, ist überhaupt nicht schwebend und schon gar nicht leicht. - Ich möchte Sie allerdings bitten, mir das einfach zu glauben und nicht die Probe aufs Exempel zu machen. Sie könnten, aus Verblüffung über das Gewicht dieser ätherisch wirkenden Dinge eines davon fallen lassen und hätten Kosten ohne bleibenden, ästhetischen Nutzen.
Diese Objekte sind zudem Ergebnis eines wirklich höllischen Herstellungsprozesses.
Ich hoffe ich langweile Sie nicht allzu sehr mit meiner Beschreibung, aber vielleicht hatten ja doch noch nicht alle hier Anwesenden Gelegenheit in einer Glashütte im nahen Bayerischen Wald oder auf Murano der traditionellen Glasherstellung zuzusehen.
Mit Ihrer Erlaubnis will ich kurz und sehr summarisch versuchen zu erzählen, wie diese Objekte entstehen.
Die Gläser hier sind alle auf der Laguneninsel Murano bei Venedig von Mussgnug in einer uralten Glashütte hergestellt worden.
Da stehen in großen Öfen Schamottegefäße in denen jeweils farbloses und farbiges Glas bei 1250 bis 1400 Grad Celsius honigflüssig geschmolzen wird.
Die „Palette“ mit der man arbeitet beschränkt sich notgedrungen auf wenige - 5 - 8 - vorher festgelegte Farben, die in jeweils 1 bis 2 Gefäßen pro Ofen, also in 3 bis 5 Öfen vor dem Künstler stehen.
Die Öfen müssen nach vorne offen sein, denn man muss die „Palette“ ja erreichen können, aber sie sind mit rostigen Blechen leicht abgedeckt um die Hitzeabstrahlung auf die davor arbeitenden Menschen gerade noch erträglich zu halten.
Trotzdem geht von diesen offenen Feuerstellen eine wahrhaft höllische Hitze aus.
Was aber für den Künstler noch unangenehmer ist: alle Farben sehen gleich aus! Der Glasfluss ist jeweils rot- bis weißglühend!
Mit einem etwa mannslangen Metallrohr, der „Pfeife“ wird nun ein großer Tropfen farblosen Glases aus der Glut genommen, wobei die „Pfeife“ ständig gedreht werden muss, damit der zähflüssige Glasbrei nicht auf den Boden tropft und damit unbrauchbar wird. Wenn Sie sich vorstellen, Sie sitzen am Frühstückstisch und versuchen den Honig ständig auf dem Löffel zu halten, kommen Sie der Situation etwas nahe, die Hitze, das Gewicht des „Honigs“ und die Hebelwirkung der Pfeife natürlich ausgenommen.
Man kann nicht die gesamte, benötigte Glasmasse auf einmal, honigflüssig auf die Pfeife bringen, sondern man muss einzelne Portionen immer wieder etwas abkühlen lassen, damit sie zähflüssiger werden, bevor die nächste Portion Glasfluss hinzugefügt wird. Auch hier kann Ihnen vielleicht die Vorstellung vom Honig auf dem Löffel noch nützlich sein.
Das immer noch zähflüssige, d. h. rotglühende Glas wird nun mit nassen Buchenholwerkzeugen in die gewünschte Form gebracht. Ein Vorgang bei dem sich der Oberkörper des Arbeiters derart dem immer noch 1000 Grad heißen Glasfluss nähert, dass die Kollegen ihn mit nassen Holzpaddeln wedelnd schützen müssen.
Jetzt erst werden Flecken, Streifen, Punkte etc. von farbigem Glas, - Sie erinnern sich: das Glas ist glühend, die Farbe ist daher nicht zu erkennen!- auf die Glasmasse aufgebracht. Ihre Form kann -in Grenzen- auf dem zähflüssigen Glaskörper noch verzogen und verändert werden.
Wird die Masse während des Arbeitsprozesses zu „kalt“ kann sie an der Pfeife im Ofen wieder erhitzt werden. Aber Vorsicht! Wird die Masse allzu heiß, tropft sie ev. als Ganzes ab und alle Mühe war vergebens.
Ist die gestalterische Arbeit an der glühenden Glasmasse beendet, werden die farbigen Gläser noch einmal mit einer farblosen Glasschicht „überfangen“. D.h. das Glasobjekt ist jetzt allseits von einem farblosen Glasmantel umgeben. Dieses Überfangen ist ein technisch - handwerklich hoch anspruchsvoller Vorgang. Es würde zu weit gehen, ihn im Einzelnen zu beschreiben. Nur soviel sei gesagt: im handwerklich - designerischen, wie im künstlerischen Bereich gehören Überfanggläser zu den Besonderheiten und Kostbarkeiten.
Auch den Vorgang des Absprengens von der Pfeife, des Verschmelzens der Bruchstelle, des Abkühlens in einem eigenen Ofen will ich, um Sie nicht über Gebühr zu strapazieren, jetzt nicht beschreiben. Nur Eines sei noch gesagt: Erst in diesem Abkühlofen, wenn die Temperatur sehr langsam unter die 500 Grad Celsius sinkt, werden allmählich die richtigen Farben sichtbar. D.h. jetzt ist nichts mehr zu korrigieren!
Was Mussgnug noch zu tun bleibt, ist das Gravieren nach dem endgültigen Abkühlen. Eine Arbeit, die dann auch im heimischen Atelier erledigt werden kann. Aber auch noch beim Gravieren heißt es: Korrekturen sind nachträglich nicht möglich!

Hoffentlich habe ich Sie mit dieser Beschreibung nicht allzu sehr strapaziert.
Ich wollte Ihnen nur in Erinnerung rufen, dass manchmal auch heute noch gilt, was Karl Valentin ( den sie hoffentlich alle kennen) einst gesagt hat: „ Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

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